Abergläubische Ratte

Ein verhaltensbiologisches Experiment aus den siebziger Jahren, das unter dem Namen „Die abergläubische Ratte“ bekannt wurde, hat in mir eine Assoziation zu unserem Umgang mit sogenannten Krankheiten ausgelöst. Ich halte diese Idee für nützlich und möchte sie Dir gerne vorstellen.

Im Experiment hat man Ratten aus einem Käfig gelassen, vor dem in einigem Abstand ein Freßnapf mit Futterspender postiert war. Die Ratten benötigen, um zum Napf zu gelangen, etwa 2 Sekunden. Was die Ratte nicht weiß: Nur wenn sie mit Verzögerung von mindestens 4 Sekunden beim Freßnapf eintrifft, wird der Futterspender ausgelöst. Nach einigen Versuchen „bemerkt“ die Ratte, dass die Futterspende von einem bestimmten Verhalten ihrerseits abhängig ist. In Ermangelung eines Konzeptes von (Warte-)Zeit, wiederholt sie ab sofort das Verhalten, was sie an den Tag gelegt hat, bevor sie erstmalig mit Verzögerung und damit erfolgreich zum Freßnapf kam. Die Ratten werden sich ab sofort  die Ohren kratzen, Einbeinsprünge bzw. Kopfstand machen  oder irgendeiner anderen Zeit füllenden Beschäftigung nachgehen, um dann nach dieser Prozedur am Freßnapf belohnt zu werden. Das Verhalten ist erfolgreich. Einfacher ginge es mit Abwarten. Deshalb sprechen wir von der „Abergläubischen Ratte“.

Nun zu uns. Wir bemerken unser Kranksein – zum Beispiel eine Erkältung. Dies entspricht dem Moment des Aus-dem-Käfig-Kommens. Eine neue Situation. Der Freßnapf mit Belohnung ist unsere erhoffte Genesung. Sie tritt selbstverständlich ein – der Körper macht das schon – jedoch erst nach einem Genesungsprozeß, der Zeit braucht. Wir bekommen unsere Futterspende „Gesundheit“ erst mit Verzögerung. Die Wartezeit verbringen wir mit Inhalieren, Rotlicht, Kräutertees, Homöopathika, Antibiotika, Aspirin oder Schüsslersalzen. Jeder verbringt die Zeit bis zur Genesung mit verschiedenen Prozeduren, die den Körper in aller Regel vom Genesen nicht abbringen können, so dass am Ende die verhaltensverstärkende Belohnung in Form der Genesung stattfindet.

Genesung findet – von wenigen Ausnahmen abgesehen – unabhängig von unserem Verhalten statt. Der Rest ist Aberglaube. Probiere es aus!