Sterben und Tod

 Sacrifice I.             

 

 

© Esra Rotthoff „Sacrifice I“ aus der Serie „Almanci“ 2012, (www.esrarotthoff.com)

 

Sobald wir geboren werden, ist die Kugel, die uns ins Jenseits befördert, schon unterwegs. Ein klasse Bild. Die Kugel kann JETZT eintreffen. Damit sie es darf, muß es mir JETZT gutgehen. Kein Aufschub.

Ich weiß nicht, wie ich klarkommen werde, wenn es bei mir an das Sterben geht. Vor dem schnellen Tod (Unfall, Herzinfarkt, Gewalt) fürchte ich mich nicht. Wir Menschen haben offenbar evolutionäre Sicherungssysteme, die unseren Verstand im Augenblick der Vernichtung vor allzu großem Leid bewahren.

Langsames Sterben an einem Krebs ist schon eine andere Nummer. Als Hausarzt habe ich viele Menschen dabei begleiten können. Unsere Fähigkeit zum Sterben ist verschieden. Es gibt die Kämpfer bis zum letzten Atemzug und es gibt die friedlichen Loslasser. Ich sympathisiere sehr mit dem Loslassen. Das Loslassen kannst Du übrigens schon im prallen Leben kennenlernen. Es ist nichts, was Du tun mußt. Es ist etwas, was Du beobachten kannst. Wir sind letztlich nichts anderes als LOSGELASSENES Leben. Wenn Du das raffst, stirbst Du schon mal den kleinen EGO-Tot. Natürlich stirbt nicht das EGO. Es wird einfach als reale Illusion erkannt und braucht dann keine Angst mehr zu haben, unterzugehen. Es ist das EGo, welches meint, nicht gelassen zu sein. Das Ego meint, wählen zu können. Die  scheinbare Wahl raubt die Gelassenheit.  Wir können uns unser Leben und Sterben jedoch nicht aussuchen. Was ich hier über das Loslassen oder das Bemerken des schon immer Losgelassensein schreibe, verführt schnell zu der Annahme, da wäre etwas zu tun, um zum Beispiel besser Sterben zu können. Nein. Alles geht klar. Wir werden sterben. Und wir werden erleben, wie es abläuft.

So lange ich den Tod fürchte oder ihn schon heute bedauere, meine ich, er nehme mir etwas weg. Das Leben kann uns jedoch auch zu der Erkenntnis führen, dass mir nichts wegzunehmen ist. Denn, wie soll das bitte gehen? Als Teil des GroßenGanzen geht nichts verloren und kommt nichts hinzu. Es ist eine immerwährende Vollständigkeit. Wenn dieses Wissen präsent ist, sorgt mich der Tod nicht. Ist diese Wissen nicht präsent, fühle ich mich nicht EINS, dann verspüre  ich den Mangel dieser scheinbaren Unvollständigkeit und müßte in diesem illusionärem Zustand auch meinen Tod oder den meiner Nächsten bedauern. Dann tritt der Tod zu einem Zeitpunkt der Unvollendetheit ein. Der Tod von Menschen, die mit sich EINS geworden sind, ist nicht zu bedauern. Er IST einfach.

… und wenn es mich oder Dich nun auf dem falschen Bein erwischt – ich bei aller Neigung zum Losgelassensein es einfach nicht bin, weil mich das Leid am Ring durch die Manege führt? Ja, dann ist ES das. Kannst’e nix machen. Auch das ist dann das Komplettpaket Leben. Kein Entkommen.

Ich halte nichts von Sterbehilfe. Wer vom Leben die Nase voll hat, kann durch Sterbefasten einen erprobten Weg in das Jenseits gehen, ohne seinen Mitmenschen die Verantwortung über das eigene Leben und Tod aufzubürden. Zum Sterbefasten (bei Interesse schreibe ich gerne mal einen Extrabeitrag dazu) gibt es ganze Bücher.  (http://www.sterbefasten.de) Der Großteil unserer Ahnen wird vermutlich ohne Buch auf genau diese Art und Weise aus dem Leben gegangen sein. Sehenden Auges, klar, friedlich und in Liebe.